Lieber Bernardo,

Ich weiß nicht, … wie es dort aussieht, wo Du jetzt Dich befindest. Ich weiß nicht einmal, ob es einen solchen Ort überhaupt gibt. Aber ich weiß, dass Du in uns lebst und in unseren Gefühlen und unserer Liebe zu Dir bei uns bist. Ich habe mich immer gefragt, ob Du mit Deinen italo-germanischen Wurzeln ein Bernardo, oder ein Bernhard bist? Ich neige dazu, Dich als Bernardo zu erkennen, auch wenn Deine deutsche Seite vielleicht stärker ausgeprägt war, als Du Dir bewusst warst. Präzis, akribisch, nachdenklich, analytisch. Mann, war ich manchmal genervt, bis Du bei den Proben unserer Musikkapelle endlich Deine Bass-Gitarre aus dem Koffer genommen, das Griffbrett, die Lautstärkeregler und den gesamte Korpus mit einem Tuch abgewischt, das Kabel sorgfältig abgerollt, den Bass an den Verstärker angeschlossen und gestimmt hast – das war nachhaltige Deutsche Schule. Gespielt hast Du allerdings wie ein Lateiner: leicht, swingend, federnd, tänzelnd, melodiös. Als eingeborener Schweizer, aber leider nur mit einem Achtel italienscher Gene ausgerüstet, habe ich Dich für dieses Gesamtpaket, dieser Mischung aus „The Best of Old Europe“, immer beneidet.

Bernardo Ghionda Gedächtnisfond

Du hast Dich vor allem als Italiener empfunden, als Italiener europäischer Ausprägung. Deine italienische Identität war Dir wichtig. Und natürlich die Italienische Küche, aber das ist eine andere Geschichte, verbrachten wir doch quasi Jahre in Deiner Küche oder auf Deiner Terrasse mit Blick auf den Rhein und frönten mediterranen kulinarischen Genüssen. Was Deine italienische Identität betrifft, erinnere ich mich an eine Situation in Ligurien, wo wir unsere Ferien verbrachten: Dein Auto machte Probleme und wir fuhren zu einem Garagisten, dem Du Dein Problem – natürlich auf Italienisch – erklärtest. Der Garagist hörte genau zu und fragte, aus welchem Land Du kommst, man könne gar keinen Akzent erkennen! Du warst sehr beleidigt und gekränkt, dass Dein perfektes Italienisch, Deine elegante Sprechweise und Dein enormer Wortschatz, notabene von einem Landsmann, derart missinterpretiert wurden. Zu Recht, aber seitdem war Dir klar, dass es Gründe geben musste, die Deine Landsleute dazu brachten, immer wieder Silvio Berlusconi zu wählen! A propos Politik – Politik war immer eines unserer zentralen Gesprächsthemen. Beispielsweise, wieso es Lucky Luciano gegen Ende des Zweiten Weltkriegs mit Hilfe der Amerikaner gelang, die von Mussolini zerschlagene Mafia zu reorganisieren und weshalb Giulio Andreotti jahrzehntelang nie etwas davon bemerkt haben soll. Oder warum EU-Subventionen in Infrastrukturprojekte im Mezzogiorno weniger zum Tragen kommen, als zum Beispiel in Bielefeld. Kurzum, wir beschäftigten uns mit den üblichen Themen, die zwei Herren bei ein, zwei Gläsern Wein zu besprechen pflegten.

Als Sohn eines Diplomaten und als Simultan-Dolmetscher im Europaparlament hattest Du dafür natürlich nicht nur großes Interesse, sondern auch ein enormes Wissen. Interessanterweise sind wir uns in unseren Diskussionen nie in die Haare geraten. Überhaupt: Sich mit Dir in die Haare zu geraten war absolut unmöglich, denn Dein sanftes Wesen war auf Ausgleich, nicht auf Konfrontation bedacht. Damit hast Du mich zugegebenermaßen manchmal auf die Palme gebracht. Aber als Sohn eines Diplomaten hast Du früh gelernt, anderen zuzuhören, stets die Balance zu suchen und zu finden und immer gabst Du Deinem Gegenüber das Gefühl, auf Augenhöhe ernst genommen zu werden.

Und wie Du lachen konntest. Unter Deiner harmonischen Oberfläche brodelte ein anarchischer Humor, der vor nichts Halt machte, aber nie jemanden verletzte. Die legendären Séancen mit Deinen geliebten Trickfilmen von Tex Avery trugen maßgeblich zur Senkung der Gesundheitskosten bei, denn sie machten teure Therapie-Sitzungen bei meinem Psychiater überflüssig.

Etwas hat mich allerdings immer wieder irritiert: Ich habe mich immer wieder gefragt, wie es sein kann, dass Du als Italiener kein Fußball-Fan bist? Ich hatte Dich immer im Verdacht, dass Du keine Ahnung von Offside-Regeln, einer Vierer-Kette oder einer Raute hattest – und das, obwohl Du jahrzehntelang erfolgreich als Dolmetscher bei der FIFA und UEFA, den wichtigsten Fußball-Institutionen der Welt gearbeitet hast.

Und noch etwas: Ich wusste von Deinem geheimen Traum, dass Du als Musiker am liebsten schwarz gewesen wärst und gerne als Bassist bei James Brown gespielt hättest. Dass Dein Einstieg als in der Schweiz wohnhafter, italo-germanischer und in Belgien geborener Bassist beim „Godfather of Soul“ nie zustande gekommen ist, war mit Sicherheit nur Deiner mangelnden Voll-Pigmentierung geschuldet, denn an Deinen Qualitäten als Bassist hat es ganz bestimmt nicht gelegen. Denn ich habe nie mit einem Musiker gespielt, der „funkier“ war als Du. Irgendwann hast Du von diesem Plan Abstand genommen und zusammen mit Alain und mir eine Band gegründet, die nach der von Dir geprägten Maxime funktionierte, nämlich „if you play, play it loud!“ Damit waren wir nicht ganz unerfolgreich, obwohl außer Dir keiner ein Instrument richtig beherrschte. Trotzdem konnten wir dank unserer Musik das Erwachsenwerden für gewisse Zeit hinauszögern. Dafür, und für vieles andere, bin ich Dir sehr dankbar. Oder um es mit Deinen Worten zu sagen: „Thank You for being“. Für mich und viele andere bist Du unsterblich.

Danke und ciao!

Niggi Freundlieb, Basel
Langjähriger Freund und Bandkollege

  • Bernardo war der geborene Polyglotte und Weltbürger. Sprachen gründlich zu lernen, mit Sprachen bewusst und sorgfältig zu arbeiten – das durfte er schon als Kind, wurde zu seiner Leidenschaft und schließlich zu seinem Beruf … Weiterlesen

    Cristina Ghionda Allemann

  • Wenn ich an Bernardo denke, dann denke ich zuerst an seine wunderbare Stimme mit dem sanften Timbre, an seine unerschütterliche Ruhe und Freundlichkeit, selbst wenn alle um ihn herum gestresst und aufgeregt waren. Ich sehe ihn, wie er … Weiterlesen

    Alexander Schmitt

  • Bernardo und ich sind zusammen in das Realgymnasium gegangen, zumindest für ein paar Jahre. Doch wir waren in unterschiedlichen Cliquen und waren uns deshalb nicht so nah. Etwas verband uns … Weiterlesen

    Christoph Renfer

  • Wenn ich an Bernardo als Kollegen denke, erinnere ich mich an 30 Jahre mit vielen gemeinsamen Konferenzen. Nach unserem gemeinsamen Diplom 1985 waren Bernardo, Laura und ich »die junge Dolmetschergeneration« in der italienischen Dolmetscherkabine auf dem Platz Zürich …Weiterlesen

    Gigliola Bernath-Guida

  • Bernardo war ein überzeugter Dolmetscher und stolz darauf, diesen Beruf auszuüben. Er hat immer gesagt, dass dies ein wunderbarer Beruf sei und sollte er noch einmal wählen müssen, sich jederzeit wieder für diesen Beruf entschieden hätte. Weiterlesen

    Laura Wieser Anedda

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